Merapi 2010
Angestrengt starrte ich in die Dunkelheit und hielt Ausschau nach einem Roten Leuchten, das mir zeigte, dass der Vulkan noch aktiv war. Nach langen Minuten erblickte ich schwache Rotglut durch den Nebel wabern. Allerdings war das Leuchten viel schwächer als ich gehofft hatte. Als der Morgen graute sah ich die Quelle der Rotglut: zwei Asche speiende Förderschlote an der Stelle, an der ich eigentlich einen Lavadom vermutet hatte. Wie sich nun zeigte waren die Berichte über die Eruptionen am Vulkan Merapi relativ ungenau. Es hatte sich kein neuer Lavadom gebildet, sondern der Alte wurde in gewaltigen Explosionen aus dem Krater gesprengt. Nur am östlichen Kraterrand stieg weißer Dampf von einem alten Domfragment auf, ansonsten zeigte sich der Gipfel des Merapis sehr verändert. Wo sich die Kuppel des Domes befunden hatte war nun ein Krater mit mehreren Hundert Metern Durchmesser. Der Kraterrand sah wie eine alte Säge aus; tiefe Einschnitte klafften in ihm. Richtung Süden war er ganz eingebrochen und mündete in einem Tal, durch das sich die Pyroklastischen Ströme ihren Weg gebahnt hatten.
Die Folgen der Eruptionen waren katastrophal. Bei der ersten eruptiven Phase am 26. Oktober erreichten die Pyroklastischen Ströme eine Distanz von 10 km und zerstörten ein Dorf. Am 3. November legten die Wolken aus Gas, Staub und Gesteinstrümmern 15 km zurück. Bei der letzten starken Eruption am 5. November zerstörten sie sogar ein Dorf in 20 km Entfernung. Insgesamt wurden acht Dörfer von der Landkarte getilgt. Mehr als 350 Menschen starben, Hunderte erlitten schwerste Verbrennungen. Eine traurige Bilanz, doch ohne die Evakuierungsmaßnahmen Seitens der Regierung hätte es Tausende Opfer gegeben. Allerdings rechnete niemand damit, dass die Pyroklastischen Ströme solche Entfernungen zurücklegen würden, doch als Chris und ich die Zerstörungen am 11. November dokumentierten, konnten wir nachvollziehen was geschehen war: der Merapi hatte sein Ausbruchsverhalten geändert. Anstelle von effusiver Förderung von Lava und dem Aufbau eines Domes, hatte sich im Vulkan ein ungeheuer hoher Gasdruck aufgebaut, der den alten Dom (der die Förderschlote verstopfte) aus dem Krater sprengte. Während der zweiten Eruptionsphasen war ein Teil des alten Domes auf die Südflanke kurz unterhalb des Gipfels gerutscht. In der dritten Eruptionsphase wurde dieser gewaltige Block mobilisiert und weiter fragmentiert, sodass sich aus diesem Material ein gewaltiger Pyroklastischer Strom bilden konnte. Die vorangegangenen Eruptionen hatte schon viele Geländehindernisse eingeebnet und der neuerliche Glutstrom konnte im Tal von Kali Gendol besonders weit fließen.
Der Anblick der zerstörten Dörfer ließ mich frösteln. Noch Schlimmer als der Anblick der verbrannten Häuser war der Gestank nach verfaultem Fleisch, der hier überall in der Luft hing. Er ging nicht nur von den menschlichen Opfern aus, die teilweise noch unter der Asche auf ihre Bergung warteten, sondern auch von unzähligen Ziegen und Kühen. Chris und ich folgten unseren Nasen und entdeckten ganze Ställe mit toten Kühen, deren verbrannten Leiber aufgedunsen, und zum Teil aufgeplatzt waren. Kein schöner Anblick! Unser indonesischer Begleiter Andi hatte einige Freunde in den Pyroklastischen Ströme verloren. Entsprechend nervös waren sie, wenn über das Funkgerät akustische Signale von einsetzendem Tremor übertragen wurden. Die Angst vor einem neuerlichen Ausbruch war groß. So unterbrachen wir unsere Dreharbeiten im Sperrgebiet häufig, sprangen in den gemieteten Jeep und flüchteten vor der potenziellen Gefahr.
Der Abgang eines Pyroklastischen Stromes blieb unterdessen aus. Gelegentlich standen wir aber in einer Wolke aus Vulkanasche, die permanent aus dem Krater quoll und gut 800 Meter aufstieg, bevor der Wind sie Richtung Südwesten blies. Selbst über das 30 km entfernte Yogjakarta regnete es Asche. Die Menschen hier liefen mit Staubmasken herum. Im Stadium von Yogja befanden sich viele der 200.000 Menschen, die aus der Umgebung des Vulkans evakuiert wurden. Die Zustände hier spotten jeder Beschreibung. Die meisten Menschen lungerten auf dem Fußboden herum und hatten bestenfalls eine Decke, die als Matratze diente.
Die Zustände im Krankenhaus waren wenig besser. Zahlreiche Angehörige der Brandopfer lagerten in den Fluren. Für die Patienten selbst gab es nicht ausreichend Betten auf der Intensivstation. Wir Interviewten einen Mann, der knapp mit dem Leben davon kam. Seine Hände und Füße waren total verbrannt, seine Ohren verkrustete Stummel. Seine Frau und einige seiner Kinder überlebten die Katastrophe nicht. Dabei geriet ihr Bauernhof nur in den Randbereich einer Glutwolke.
Nicht nur die Pyroklastischen Ströme stellten eine Gefahr am Merapi dar. Besonders im Spätstadium der Eruption ging eine zunehmende Gefahr von den Laharen aus. Die Schlammströme transportierten Asche und Geröll in Flutwellen, die nach Regenfällen durch Flusstäler schossen. Chris und ich harrten einige Stunden auf einen Brück in Sichtweite des Vulkans aus und warteten auf einen dieser Lahare. Ein fernes Poltern kündigte den Lahar an. In Sekundenschnelle schoss eine Flutwelle durch das Flussbett, große Felsbrocken und Baumstämme im Gepäck. Dieser Lahar war verhältnismäßig klein, doch wir hatten bereits Brücken gesehen, auf deren Fahrbahn metergroße Lavabrocken lagen. Für die Anwohner war der Lahar eine willkommene Show. Außer uns warteten noch zwei Dutzend Einheimischer auf die Flutwelle. Einige Tage später sollte sich ein vergleichbares Naturspektakel in eine Katastrophe verwandeln, als der Fluss Code durch die Schlammaßen verstopfte, über die Ufer trat und zahlreiche Häuser wegspülte.
Am 17. November hatte sich der Merapi soweit beruhigt, dass nur noch Dampf mit recht wenig Asche aus seinem Krater quoll und so beschlossen wir den Aufstieg zum Gipfel zu wagen. Wir starteten um 2 Uhr nachts. Der Pfad von Selo aus war zum Teil unter Asche begraben. Zahlreiche Bäume waren unter der Aschelast umgestürzt und blockierten den Weg. Beim untendurch Krabbeln rieselte mir die Asche in den Nacken und bald war ich komplett eingepudert. Kurz vor der Morgendämmerung erreichten wir die Hochebene unterhalb des Kraters. Die Landschaft präsentierte sich grau und trostlos. Messinstrumente waren durch vulkanische Bomben zerstört worden. Chris stieg im Eiltempo die letzten Meter zum Kraterrand auf, sah allerdings aufgrund der starken Entgasung des Kraters nicht viel. Er konnte aber bestätigen, dass der alte Dom praktisch komplett ausgeblasen wurde. Als wir mittags wieder in Selo ankamen waren wir total eingestaubt. Das Reinigen der Ausrüstung nahm einige Zeit in Anspruch.
Am nächsten Tag brachen wir in Richtung Krakatau auf, doch das ist eine andere Geschichte.
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