Die Fossilien von Messel
In Südhessen, nur wenige Kilometer nord-östlich von Darmstadt, treten 49 Millionen Jahre alte Ablagerungen zutage, deren geologische Außergewöhnlichkeit der UNESCO 1995 den begehrten Titel des „Weltnaturerbe“ abverlangte.
Es sind bitumenhaltige Tonsteine, die hier im Erdzeitalter des Eozän im Krater eines Maarvulkanes abgelagert wurden. Der mit Süßwasser gefüllte Krater bildete den Messel-See inmitten einer tropischen Landschaft. Denn bedingt durch die Wanderung der Kontinentalplatten, lag dieser See damals etwa auf der geografischen Breite von Sardinien.
Die Sedimente aus dieser Zeit enthalten einen hohen Anteil an Bitumen und wurden seit dem 19ten Jahrhundert als Öllagerstätte ausgebeutet. Doch beim Abbau wurden bereits damals erste Fossilien gefunden. Mit den preiswerten Ölimporten aus dem nahen Osten lohnte sich die Ölgewinnung aus dem Schiefer nicht mehr. So wurde die Grube 1971 stillgelegt. Obwohl Paläontologen und Privatsammler hier bereits erfolgreich nach Fossilien gruben, fiel die Entscheidung die Grube mit Müll zu verfüllen. Rettungsgrabungen brachten immer neue, bedeutende Funde ans Tageslicht, die auch internationales Interesse an der Grube weckten. Bürgerinitiativen leisteten erbitterten Widerstand. Erst 1995 wurde die Grube Messel mit ihren Versteinerungen von weltweit einmaliger Qualität und Quantität endgültig durch die UNSCO unter Schutz gestellt. Heute dürfen hier nur noch wissenschaftliche Grabungen durchgeführt werden. Dabei engagieren sich das Frankfurter Senckenberg Institut, das Hessische Landesmuseum Darmstadt und die Universität Würzburg.
Die Messel-Fossilien galten trotz ihres außergewöhnlichen Erhaltungszustands lange Zeit als wertlos. Der Ölschiefer enthält einen hohen Wasseranteil. Trocknet er aus, zerfällt er und mit ihm alle Fossilien. Erst mit der Entwicklung einer Aufwendigen Präparationstechnik, der Transfer-Methode, bei der das Fossil komplett von Schiefer befreit und auf eine Kunststoffplatte umgebettet wird, war es möglich die Relikte der Vergangenheit auf unbegrenzte Zeit haltbar zu machen und zu erforschen.
Detailgenau sind Besonderheiten im Körperbau, Mageninhalte, Hautschatten, ja sogar Farben im Ölschiefer überliefert. Sie bergen eine Fülle von Informationen für die Wissenschaft und ziehen die Bevölkerung durch ihre unvergleichliche Ästhetik an. Dazu kommt das spezifische Alter der Fossilien von ca. 49 Millionen Jahren. Sie sind Zeitzeugen der Evolution der modernen Säugetiere, die sich im Alttertiär zur weltweit vorherrschenden Tierklasse entwickelten. Viele Arten haben es nicht geschafft, manche sind uns noch sehr fremd, doch in einigen wenigen erkennen wir bereits ihre heutigen Nachfahren.
Die berühmtesten Funde aus Messel sind auch zum Markenzeichen der Grube geworden, die Urpferdchen. Bis heute sind über 70 Exemplare gefunden worden. Stammesgeschichtlich gehören sie zu einem frühen Seitenast in der Pferdeevolution. Mit ihrem gekrümmten Rücken und dem kurzen Hals ähnelte ihre Gestalt wohl eher heutigen Ducker-Antilopen als Pferden.
Ein See im Eozän
Nach dem Aussterben der Dinosaurier an der Kreide-Tertiär-Grenze vor rund 65 Millionen Jahren war der Weg frei für die Verbreitung der Säugetiere. Bisher hatten sie im Schatten der Saurier mit einigen unscheinbaren Arten, von der Größe einer Maus vor sich hinvegetiert, doch jetzt brach ihre große Stunde an. Wie eine Lawine überzogen die Warmblüter den Planeten und bereits nach 10 Millionen Jahren gab es über 130 unterschiedliche Gattungen, das sind mehr als heute.
Die Natur experimentierte; schuf unterschiedliche Konzepte und Lösungen für verschiedene Anwendungen und verwarf die nicht durchsetzungsfähigen. So kam es zu gewaltigen innerartlichen Variabilitäten, bis sich die besten Lösungen durchsetzen konnten. Und genau in dieser Zeit, in der Morgenröte der Säugetiere, benannt nach der griechischen Göttin Eos, existierte der Messeler See.
Vor 49 Millionen Jahren, im Eozän, sah unser Kontinent noch ganz anders aus. Er war flach und größtenteils überflutet. Die großen Gebirgsketten wie die Alpen gab es noch nicht. Im nördlichen Teil hingen Europa und Nordamerika noch direkt zusammen.
Der See von Messel lag auf der geografischen Breite von Mittelitalien, also über 1000 km weiter südlich und dementsprechend warm war das Klima, ja sogar subtropisch.
Dichter Wald aus Palmen, Lorbeer, Maulbeerbäume und vieler anderer Pflanzen bedeckten die Gegend.
Im Wasser blühten Seerosen, grün durchzogen Algenschlieren das Wasser. Im Uferschilf rascheln Frösche und Schildkröten. Ein Heer von Insekten brachte die Luft zum flirren. In der Sonne lagen Krokodiele, halb im Wasser, halb an Land. Einige der urtümlichen Echsen waren sicherlich m groß. Wilder Wein rankte an den Bäume hoch. Die saftigen Trauben lockten zahlreiche Tiere an. Da, eine Gruppe graziler Vierbeiner von der Größe eines Hundes tauchte aus der Dunkelheit des Waldes auf. Zielstrebig steuerten sie auf die Trauben zu und begannen zu fressen. Es waren Urpferdchen. Zugegeben, die Ähnlichkeit mit unseren heutigen Pferden war noch etwas dürftig, eher sahen sie wie kleine Antilopen aus, mit einem kurzen Hals. Auch Hufe hatten sie noch nicht. Sie liefen auf zehenbewährten Füßen. Dennoch waren es die frühesten Verwandten unserer Pferde, die da fast lautlos durch das dichte Grün schlichen.
Doch die Idylle trog. Unter der Wasseroberfläche, am Boden des Sees gärte ein stinkender Faulschlamm unter Abschluss von Sauerstoff vor sich hin und machte jedes Leben in den tieferen Seeschichten unmöglich. Milliarden von Grünalgen entzogen bei der jährlichen Algenblüte dem Wasser den Sauerstoff und sanken dann verwesend zu Boden. Manchmal bildeten die Faulgase große Blasen. Stiegen sie auf, konnten sie sogar für Tiere außerhalb des Wassers zur tödlichen Bedrohung werden.
Unter solchen extremen Bedingungen konnten nur wenige Tierarten dauerhaft leben. Die meisten Tiere besuchten den See nur kurz.