Anak Krakatau
Einer der bekanntesten Vulkane der Erde ist der Krakatau in Indonesien. Der kleine Archipel besteht aus 4 Inseln, und liegt in der Sundastrasse zwischen Sumatra und Java. Seit der katastrophalen Eruption vom 24.August 1883 ist Krakatau Synonym für die Vulkankatastrophe schlechthin. Der Vulkan vernichtete sich in einer Serie gigantischer Explosionen selbst. Mehr als 36.000 Menschen starben an den Folgen dieser Katastrophe. Pyroklastische Ströme verbrannten Ortschaften auf Sumatra, riesige Flutwellen -Tsunamis- überfluteten die Küstenregionen von Java und Sumatra. Der Knall der finalen Detonation war sogar noch im australischen Perth zu hören; in 4500 Kilometern Entfernung!
Der Untergang der Insel hinterließ eine Caldera und eine kleine Insel. Seit 1927 wächst in dem unterseeischen Einsturzkessel der Caldera ein neuer Vulkan heran: Anak Krakatau. Innerhalb von 80 Jahren etablierte sich die neue Vulkaninsel, sodass sich dort bereits wieder Pflanzen und Tiere heimisch fühlen.
Das Kind des Krakatau war Anfang Juni 2009 Ziel einer kleinen Expedition der Geonauten. Zusammen mit Martin Rietze und Thorsten Böckel machte ich mich auf den Weg, um die Eruptionen des Vulkaneilandes zu Filmen. Im April begann eine neue Tätigkeitsphase und im Mai wurde die Alarmstufe von 2 auf 3 erhöht. Einheimische berichteten von vulcanischen Eruptionen mit hoch aufsteigenden Aschewolken in denen Blitze zucken sollten. So trafen wir uns in Jakarta und charterten von Carita aus ein Fischerboot. 4 Nächte wollten wir am Vulkan verbringen.
Nach gut 3 ½ Stunden Fahrt dümpelten wir in der sanften Dünung wenige 100 Meter von Anak Krakatau entfernt und warteten auf Ausbrüche. Plötzlich zerriss ein Donnerschlag die Stille. Vulkanische Bomben stiegt hoch in die Luft 300, 400, 500 Meter über den Krater schienen kurz in der Luft still zu stehen und beschleunigten auf einer Parabel Richtung Boden. Der gesamte Kegel des Vulkans war mit Einschlägen bedeckt. Überall stiegen kleine Staubwolken auf. Einige besonders dicke Brocken splashten ins Wasser und ließen Wasserfontänen aufspritzen. Erschrocken warf der Kapitän der „Royal“ den Motor an und gab Hackendampf! Wenigstens wussten wir jetzt, warum eine 2,5 Kilometer durchmessende Sperrzone um Anak Krakatau etabliert worden war. Uns wurde auch Bewusst, auf welcher Gratwanderung zwischen Leben und Tod wir uns begeben würden, wenn wir unser Vorhaben – am nächsten Tag auf Anak Krakatau anzuladen- in die Tat umsetzen wollten.
Doch zunächst landeten wir auf Rakata und errichteten dort unser Basiscamp. Wir richteten unsere Kameras nach Anak Krakatau und überbrückten die 4,5 Kilometer mit unseren Teleobjektiven. Doch der Vulkan zeigte sich von seiner ruhigen Seite und produzierte nur vereinzelte Ascheeruptionen. Das änderte sich pünktlich zum Abendessen! Als wir unseren Posten hinter den Kameras aufgegeben hatten und es uns auf der Picknickdecke bequem gemacht hatten, um das Seafood-Menü zu verzehren, sahen wir die rote Fackel einer strombolianischen Eruption aufsteigen. Der Explosionsknall folgte mit einigen Sekunden Verzögerung und verstärkte sich durch das Echo der steilen Felswand von Rakata hinter uns. Diese Art der Aktivität hielt für einige Stunden an, bevor es gegen Mitternacht ruhiger wurde. Langsam bekamen wir ein Gefühl für den Rhythmus des Vulkans und für die Bandbreite seiner Eruptionen. Wir nutzten die Eruptionspause um ein wenig Schlaf nachzuholen.
Gegen Nachmittag setzten wir über, fest entschlossen die Nacht am Fuße des Vulkankegels zu verbringen. Martin kannte noch vom letzten Jahr eine kleine Bucht, an der wir mit dem Schlauchboot anlanden konnten. Von dort war es kein Problem den steilen Schutthang aus lockerer Lava zu erklimmen, aus dem die Küste hier bestand. Die Risiken dieses Unterfangens waren uns durchaus bewusst. Die Atmosphäre an Bord war gedrückt. Es herrschte jene Mischung aus Schweigen und makaberen Witzen, wie sie für solche Situationen typisch ist. Ähnlich empfinden wohl Soldaten kurz vor einem Einsatz. Tatsächlich kamen wir uns ein wenig wie Berichterstatter von der Lavafront vor und packten unsere Ausrüstung mit bedacht. Einmal auf Anak Krakatau gelandet gab es kein zurück, bis uns das Boot am nächsten Morgen abholen würde, denn ankern konnte und wollte der Kapitän hier nicht! So rüsteten wir uns mit Helmen, Gasmasken, Schlafsäcken, Trinkwasser und Regenschutz aus, checkten die Akkus unserer Kameras und verpackten diese Wasser- und staubdicht. Dann kam der unangenehme Moment des Ausbootens. Das Wissen, eine mehrere Tausend Euro teuere Kameraausrüstung im Rucksack zu haben stellt selbst bei geringem Seegang eine psychologische Hemmschwelle da, die es zu überwinden gilt. Schließlich rutscht man mal schnell von der schmalen Reling ab und das winzige Schlauchboot tanzte wild in den Wellen. Da half auch das Wissen um die wasserdichte Verpackung der Kamera wenig. Nun ja, knapp 5 Minuten später setzte ich meinen Fuß auf Anak Krakatau und wurde von einem gewaltigen Scheppern des Vulkans begrüßt. Mit einem Schloträumer beendete Anak eine seiner ruhigeren Phasen. Die steile Uferböschung versperrte die Sicht auf den Vulkan, was mir gar nicht behagte. Eventuell heranfliegende Lavabomben würde ich viel zu spät sehen um noch ausweichen zu können. Als Martin und Thorsten eintrafen folgten weitere Eruptionen. Nun doch etwas eingeschüchtert suchten wir uns den Weg hinauf aufs Lavaplateau am Fuße des Vulkans. Einem weiteren Explosionsknall folgte das Zischen sich nähernder Lavageschosse. Gebannt schauten wir in den Himmel und fixierten die Brocken, deren Bahn in unserer Richtung führte, immer bereit zur Seite zu springen. Mit einem dumpfen Ploppen schlugen einige Bomben gut 100 Meter vor uns ein. Noch reichte der Sicherheitsabstand!
Sorgfältig suchten wir unseren Beobachtungsposten aus. Neben idealer Sicht kam es auf ausreichend Platz zum ausweichen an und eine ebene Stelle für die Isomatte wäre auch nicht übel gewesen. Doch das Gelände auf dem Plateau aus alten Lavaströmen war alles andere als ideal. Die locker aufeinandergeschichteten Aa-Lavaströme mit steilen Muränen und Schluchten sind nicht nur übel zu begehen, sondern auch rar an Lagerplätzen mit Platz für drei Personen. So wählte Martin einen Standpunkt, wo ihm rechts und links große Lavabrocken Schutz boten und Thorsten und ich postierten uns auf einem kleinen Wall, an dessen Basis eine winzige Lavagrotte Schutz versprach. Als wir dann kurz vor der Dämmerung unsere Kameras positioniert hatten, ließ Häufigkeit und Intensität der Ausbrüche nach. Dafür näherten sich vom Osten her drohende Gewitterwolken. Donnergrollen mischte sich mit den gelegentlichen Explosionen des Vulkans. Als es dunkel war erwischte es uns voll! Ich deponierte Stativ und Wanderstöcke einige Meter von mir entfernt und kauerte mich unter meinem Poncho zusammen. Um möglichst wenig Angriffsfläche für Schrittspannungen zu liefern balancierte ich auf meinen Füßen hockend in einer kleinen Senke. Wahre Wassermassen stürzten vom Himmel und die Blitze zuckten um uns nieder, krachten in aufsteigende Lavafontänen und dem 800 Meter entfernten Krater, in den Wald einen Kilometer vor uns und ins Wasser ein paar hundert Meter hinter uns. Die Redensart „den Naturgewalten schutzlos ausgeliefert sein“ bekam eine neue Dimension! Um uns herum nur feuchtwarme Dunkelheit deren Schwärze durch die grellen Blitze und dem gelegentlichen, roten Schein der Lavafontänen betont wurde. Bunte Lichter tanzten auf meiner Netzhaut, nachdem ich direkt in einen Blitz gesehen hatte, der in den Vulkanhang donnerte. Wie die gierigen Finger einer Hand griffen die elektrischen Entladungen nach Anak Krakatau und damit auch nach uns. Meine Füße wurden taub und ich schwitzte unter dem Poncho. Nach einer Stunde war der Spuk vorbei. Thorsten kam aus seiner Höhle gekrochen und schon schwang respektvolle Begeisterung in seiner Stimme. Mir war einfach nur… Nass! Mit zunehmenden Beingefühl und –ich gebe es zu- einer Flasche Bier, die wir uns teilten, stieg auch die Begeisterung in mir hoch. Begeisterung über das eben Erlebte und Begeisterung darüber noch am Leben zu sein!
So plötzlich die Wolken aufzogen, genauso schnell verschwanden sie wieder. Erste Sterne wurden sichtbar und der Vulkan verstärkte seine Aktivität. Schnell dahinziehende Wolken reflektierten dass gespenstische Glühen aus dem Krater und Thorsten produzierte eine Reihe fantastischer Zeitrafferaufnahmen.
Nach Mitternacht wurde ich doch ein wenig müde und entgegen des Vorsatzes, den Vulkan nicht aus den Augen zu lassen, rollte ich mich auf einer kleinen Lavaplatte zusammen und döste ein wenig vor mich hin. Doch immer wieder ließen mich die Eruptionen hochschrecken und nach anfliegenden Lavabrocken Ausschau halten. An Schlaf war nicht wirklich zu denken. Kurz nach 5 Uhr erschien der erste Lichtstreifen der nahenden Dämmerung am Horizont. Schnell packte ich meine Videokamera aus und bereitete mich auf die „Blaue Stunde“ vor. Das ist jenes kurze Zeitfenster vor Sonnenaufgang, während dem man noch das Glühen der Lavabomben sieht, sich aber auch schon die Umgebung gut sichtbar durchzeichnet. Voll konzentriert standen wir hinter unseren Kameras, bemüht, keine Eruption zu verpassen. Strombolianische Ausbrüche zu filmen ist eine undankbare Aufgabe! Wenn man die erste Sekunde der Eruption verpasst ist die gesamte Aufnahme unbrauchbar! Es erstaunt mich immer wieder aufs Neue, wie schnell die Dämmerung in den Tropen vorbei ist. Nach einer ¾ Stunde ging die Sonne auf. In dieser Zeit hatte ich 6 Ausbrüche gefilmt und 3 verpasst.
Um 8 Uhr zog Dunst auf und das Licht wurde völlig unbrauchbar. Müde, aber zufrieden packten wir unsere Sachen ein. Auch Martin verließ seinen Posten zwischen den Felsen und kam zu uns rüber. Aufgeregt tauschten wir unsere Eindrücke des Erlebten aus. Inzwischen war auch die „Royal“ zurückgekehrt und wir winkten das Schlauchboot herbei.
Wieder im Basiscamp auf Rakata sortierten wir die Aufnahmen und schafften Platz auf den Speicherkarten. Meine anschließende Siesta am Strand wurde unsanft von einem Waran unterbrochen, der meinte es sich auf meinem Bauch bequem machen zu müssen. Irgendwie störte mich sein Schwanz im Gesicht und ich fuhr erschrocken auf, als das über einen Meter lange Tier auf mir herumturnte.
Am nächsten Tag setzten wir wieder nach Anak Krakatau über. Dunst und Wolken verhießen nichts gutes und misstrauisch beobachteten wir die Wolken. Rakata versank im Regen und die 900 Meter hohe Insel hielt die Wolken fest, zumindest für eine Weile. Pünktlich zur „Blauen Stunde“ fing es an aus Kübeln zu gießen. Als der Regen aufhörte war es dunkel. Das Filmen konnte ich für heute vergessen und so verlegte ich mich aufs Fotografieren. Dummerweise gab der Akku nach ein paar Aufnahmen auf, obwohl ich einen frisch aufgeladenen an Bord der „Royal“ eingelegt hatte. So konnte ich bis zum Morgengrauen in Ruhe die Eruptionen beobachten, die aus mindestens 3 verschiedenen Schloten eruptierten. Mal schossen die Lavafontänen nach Rechts, mal nach links und der dritte Schlot schoss die Lavabrocken senkrecht in die Luft.
Am Morgen zeichnete ich noch einige Statements mit Martin und Thorsten auf. Der Vulkan zeigte sich von seiner aktivsten Seite. Mit dem Boot ließen wir uns zum Waldrand fahren. In dem schmalen Baumstreifen stand die Luft bewegungslos und der Schweiß schoss mir augenblicklich aus allen Poren. Vom Waldrand aus bot sich eine andere Perspektive auf den Krater. Wir bestiegen den ca. 120 Meter hohen Rand des alten Kraters. Das obere Drittel war von frischen Bomben und Einschlaglöchern übersät. Hier bewegten wir uns in der „Todeszone“. Allerdings hatte ich während der Nacht sorgfältig beobachtet, dass 99,9 % der Bomben auf der Innenseite des alten Kraters niedergingen. Als wir dann oben auf dem schmalen Grat standen und zum Kegel des neuen Kraters hinüberblickten und die von Einschlägen zerfurchte Innenseite des alten Kraters wenige Meter unter uns sahen, wurde es uns doch ein wenig zu unheimlich und wir stiegen wieder zum Waldrand ab. Dort angekommen zerriss ein gewaltiges Krachen die Stille der unbewohnten Insel. Lavabrocken, so groß wie ein Minivan segelten schräg über den Gipfel und schlugen am Hang ein. Einige Brocken von Melonengröße schafften es bis über den alten Kraterrand und landeten gut 200 Meter von uns entfernt, eine Staubwolke aufwirbelnd und einen neuen Krater hinterlassend. Wir beobachteten noch 2 weitere starke Eruptionen bevor wir uns von Krakatau verabschieden mussten. Am späten Nachmittag kehrten wir nach Carita zurück. Auf der Rückfahrt fiel uns besonders der ganze Plastikmüll auf, der in der Sundastrasse treibt.
Am nächsten Tag statteten wir dem alten Hafen von Jakarta einen Besuch ab. Hier werden die Frachtsegler beladen, mit denen der innerindonesische Frachtverkehr abgewickelt wird. Bemerkenswert waren nicht nur die muskelbepackten Arbeiter, die über schmale Holzbalken balancierten und LKW-Ladungen mit Zementsäcken verluden, sondern auch die Kloake, in denen die Segler dümpelten. Die Schiffe schwammen in einem Berg aus Müll. Das Wachstum der „Boomtown“ Jakarta ist brutal, die Zunahme an Umweltproblemen steigt exponential zur Bevölkerung. So schön es am Krakatau auch war, trotzdem stieg ich mit einem flauen Gefühl im Magen in den Flieger.
Video: Eruptionen des Anak Krakatau in Juni 2009
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